Kognitiv-Rationale Rekonstruktion
Von Prof. Dr. Gottfried Vosgerau (Co-PI) , Dr. David Löwenstein (Co-PI) und Dr. Nastasia Müller
Ziel der Argumentationstheorie und der angewandte Argumentanalyse ist es, Begründungen und Begründungsstrukturen verständlich zu machen. Dazu werden rationale Rekonstruktionen von einzelnen Argumenten sowie von Netzwerken mehrerer aufeinander bezogener Argumente vorgelegt und philosophisch reflektiert. Dabei werden auch implizite Elemente sichtbar gemacht, etwa implizite Prämissen, teils aber auch implizite Konklusionen oder gar ganze implizite Argumente, die sich aus der womöglich nicht explizit benannten Rolle eines Beitrags in einer komplexeren Diskussionssituation ergeben.
Das Problem ist jedoch, dass menschliche Überzeugungsbildung oft „irrationalen“ Einflüssen unterliegt, die zu falschen Überzeugungen führen. Bislang spielen kognitive Verzerrungen bei der Rekonstruktion von Argumenten praktisch keine Rolle. Ein Grund dafür dürfte sein, dass kognitive Verzerrungen Prozesse sind, die in der Regel unbewusst ablaufen und auch nicht bewusst gesteuert werden können. Da sie zumindest vordergründig keiner oder nur geringer kognitiver Kontrolle unterliegen, scheint es, dass sie daher in Argumenten auch nicht als Prämissen oder Gründe angeführt werden können.
Ein weiterer Grund, dass kognitive Verzerrungen in der Argumentrekonstruktion bislang nicht berücksichtigt wurden, liegt darin, dass kognitive Verzerrungen qua ihrer Definition als „irrational“ gelten. Bei der Argumentrekonstruktion ist jedoch mit guten Gründen das Prinzip des Wohlwollens wichtig. Nach diesem Prinzip sollen Argumente stets möglichst stark, rational und plausibel rekonstruiert werden, einschließlich impliziter und wohlwollend reformulierter Elemente. Eine adäquate Einbeziehung der Tatsache, dass Menschen Überzeugungen auf „irrationale“ Weise bilden, ist somit bei der Argumentationsrekonstruktion methodisch deutlich erschwert, vielleicht sogar ausgeschlossen.
Ziel des vorliegenden Projekts ist es, kognitive Verzerrungen und andere Erklärungsstrategien, wie Informationsdefizite oder Tugenddefizite, in die Rekonstruktion von Argumenten zu integrieren, ohne das Prinzip des Wohlwollens zu verletzen. Die bestehende Methode der rationalen Argumentrekonstruktion soll ergänzt und weiterentwickelt werden, hin zur neuen Methode der kognitiv-rationalen Rekonstruktion von Argumenten. Mehr erfahren.